FLASH NEWS – NEUES AUS DEM FRANZÖSISCHEN ARBEITSRECHT
Nicola KÖMPF & Mathilde GICQUEL
Nicht zu Unrecht hat das französische Arbeitsrecht den Ruf, sehr arbeitnehmerfreundlich zu sein.
Die neuesten Entwicklungen der Rechtsprechung des Kassationshofs (französisches BGH) bezeugen dies.
Die Saga der Entstehung von Urlaubsanspruch während Krankenzeiten
Anders als in Deutschland, wo der BAG schon lange entschieden hat, dass der Erwerb von Urlaubsanspruch nicht davon abhängt, dass der Arbeitnehmer in dem Kalenderjahr, in dem er Urlaub beanspruchen kann, auch tatsächlich gearbeitet hat, ergibt sich aus den derzeit geltenden Vorschriften des französischen Arbeitsgesetzbuchs grundsätzlich genau das Gegenteil. In einem spektakulären Urteil des Kassationshofs vom 13. September 2023 wurde jedoch entschieden, dass die französischen Vorschriften nicht EU-Recht konform sind und somit Krankenzeiten effektiven Arbeitszeiten gleichzusetzen sind. Die zusätzlichen Kosten für die Arbeitgeber aus dieser kompletten Kehrtwende wurden auf über 2 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.
Darauf erfolgte eine Frage auf Verfassungskonformität der betroffenen Artikel des französischen Arbeitsgesetzbuchs, die am 8. Februar 2024 durch den französischen Verfassungsrat (Conseil Constitutionnel) bejaht wurde.
Dennoch können französische Arbeitgeber nicht aufatmen, denn sowohl die erstinstanzlichen Arbeitsgerichte als auch verschiedene Berufungsgerichte folgen weiter dem höchstrichterlichen Urteil des Kassationshofs und sprechen Arbeitnehmern Urlaubsanspruch auch während Krankheitszeiten zu.
Die französische Regierung hat in diesem Zusammenhang eine Gesetzesänderung angesagt.
Arbeitgeber von Mitarbeitern in Frankreich sollen daher vorsorglich Urlaubsansprüche während Krankheitszeiten zugestehen.
Unlautere Beweismittel sind nicht unbedingt unzulässig
Seit einem Urteil des Kassationshofs aus dem Jahr 2011 galt die Regel, dass ein Beweis, der auf unlautere Weise, d.h. im Unwissen einer Person, basierend auf einem Manöver oder einer List, erlangt wurde, vom Richter nicht berücksichtigt werden darf.
In zwei Urteilen vom 22. Dezember 2023 zugunsten von Arbeitgebern hat der Kassationshof seine Rechtsprechung gelockert, indem er entschieden hat, dass bei Vorliegen von unlauteren Beweisen eine Rechts- und Interessenabwägung vorzunehmen ist. Somit können eigentlich unzulässige Beweise (z.B. illegale Videoaufzeichnungen, Registrieren von Gesprächen, Kopien privater Facebook-Korrespondenz, etc.) als Beweise geltend gemacht werden, insofern sie:
- Durch einen konkreten Grund gerechtfertigt sind
- Sie die einzige Möglichkeit darstellen, den Beweis zu erbringen
- Zeitlich begrenzt sind
- Der Zugang zu diesen Beweisen streng begrenzt ist.
Diese Rechtsprechung kann gegebenenfalls in der Zukunft die arbeitgeberseitige Beweislast erleichtern, man darf jedoch nicht die Gefahr auf Arbeitnehmerseite unterschätzen, denn auch hier können unlautere Beweise zukünftig zum Tragen kommen.
Verschärfte Überwachungspflicht von Arbeitszeiten bei Jahrestagespauschalen
Jahrestagespauschalen (forfaits jours), die das deutsche Recht nicht kennt, sind gerade bei ausländischen Arbeitgebern von Mitarbeitern in Frankreich sehr beliebt. Sie ermöglichen es, mit Mitarbeitern, die autonom ihre Arbeitszeit gestalten können, eine Jahrestagespauschale von 214/218 Arbeitstagen pro Jahr (je nach Tarifvertrag) zu vereinbaren, an denen der Arbeitnehmer für das Unternehmen tätig ist. Die restliche Zeit besteht aus Arbeitszeitausgleich (RTT), Urlaubs- und Feiertagen.
Der Fallstrick liegt jedoch in der Überwachung der tatsächlichen Arbeitszeit, die 11 Stunden pro Tag nicht überschreiten darf und mindestens einen wöchentlichen Ruhetag garantieren muss, sowie eine allgemeine Verfolgung der angemessenen Arbeitslast voraussetzt. Ist eine solche Überwachung anhand schriftlicher Beweise auf Arbeitgeberseite nicht eindeutig nachzuweisen (durch wöchentliche Aufstellungen mit Arbeitszeiten/Ruhepausen, regelmäßige Gespräche mit dem Mitarbeiter mit gegengezeichneten Gesprächsprotokollen, etc.), hat der Kassationshof in einem Urteil vom 10. Januar 2024 entschieden, dass die Jahrestagespauschale nichtig ist und der Arbeitnehmer rückwirkend alle Überstunden geltend machen kann, was bei einer gesetzlichen 35-Stunden-Woche sehr schnell zu horrenden Beträgen führen kann.
Wir raten dringend allen Arbeitgebern, diese Pflichten nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, die Rechnung kann sonst unangenehm hoch werden.
Unser German Desk stehet Ihnen jederzeit für Rückfragen oder weitere Auskünfte im Arbeitsrecht, gerne auch im Vertrags-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht, zur Verfügung.
Nicola Kömpf Partnerin Avocate au Barreau de Paris Rechtsanwältin Berlin | Mathilde Gicquel Angestellte Rechtsanwältin Avocate au Barreau de Paris |